Krieg in Jemen / war in Yemen | © Keystone / Epa / YAHYA ARHAB

Keine Schlupflöcher beim Waffenausfuhrverbot

Der indirekte Gegenvorschlag zur Korrektur-Initiative ist inakzeptabel
VON: Geert van Dok - 09. April 2021
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Die Korrektur-Initiative will verhindern, dass die Schweiz Kriegsmaterial in Bürgerkriegsländer exportiert. Der Bundesrat lehnt die Initiative ab. Er legt aber einen indirekten Gegenvorschlag vor, der das Anliegen im Grundsatz aufnimmt, ihm aber ermöglicht, unter bestimmten Umständen vom Ausfuhrverbot abzuweichen. Ein solches Schlupfloch ist für die Initiantinnen und Initianten inakzeptabel; ein Rückzug der Initiative kommt so nicht in Frage.

Vor knapp zwei Jahren, am 24. Juni 2019, reichte eine breite Allianz von Parteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen die Initiative «Gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer (Korrektur-Initiative)» ein. Helvetas ist Mitglied der Allianz und mit Therese Frösch, ihrer Präsidentin, im Initiativ-Komitee vertreten. Angesichts der Verankerung der Initiative in der Bevölkerung und bis weit in die Mitte des politischen Spektrums hinein war schon damals davon auszugehen, dass das Anliegen an der Urne eine Mehrheit finden könnte. Dies veranlasste den Bundesrat, dem Parlament im März 2021 einen indirekten Gegenvorschlag zu unterbreiten, der die wichtigsten Anliegen der Initiative aufgreift, dem Bundesrat aber ermöglichen soll, das Exportverbot zu umgehen, wenn «ausserordentliche Umstände» vorliegen.

Gelockerte Kriterien für Waffenexporte

Schon 2014 hatte der Bundesrat verfügt, Exporte von Kriegsmaterial in Länder, die Menschenrechte systematisch und schwerwiegend verletzen, zu bewilligen, falls nur «ein geringes Risiko besteht, dass das auszuführende Kriegsmaterial für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen eingesetzt wird». Von den vehementen Protesten der Zivilgesellschaft blieb der Bundesrat unbeeindruckt.

Im Juni 2018 ging der Bundesrat noch einen Schritt weiter. Er wollte die Kriegsmaterialverordnung so ändern, dass er nun im Einzelfall auch die Ausfuhr in Länder, die in einen internen Konflikt verwickelt sind, bewilligen könne, wenn kein Grund zur Annahme bestünde, dass das Kriegsmaterial im internen bewaffneten Konflikt eingesetzt werde. Damit wollte der Bundesrat «der Aufrechterhaltung einer auf die Bedürfnisse der Landesverteidigung ausgerichteten industriellen Kapazität» Rechnung tragen können. Mit anderen Worten: Er beugte sich dem Drängen der Schweizer Rüstungsindustrie nach Absatzmöglichkeiten – Proteste aus Politik und Zivilgesellschaft hin oder her.

Initiative gegen die Lockerungen

Aus diesem Protest heraus formierte sich im September 2018 die Allianz gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer, in der sich gegen 40 Parteien, zivilgesellschaftliche und kirchliche Organisationen zusammenschlossen, um das Ansinnen des Bundesrats zu bekämpfen. In der Folge verzichtete der Bundesrat Ende Oktober 2018 auf die geplante Verordnungsänderung. Die Allianz beschloss daraufhin trotzdem, eine «Korrektur-Initiative» zu lancieren, um dem Bundesrat per Verfassungsartikel die Kompetenz zu entziehen, die Kriterien für Ausfuhrbewilligungen zu ändern. Gleichzeitig sollte auch die Lockerung von 2014 rückgängig gemacht werden. Die Initiative will …

  1. mehr demokratische Kontrolle und Mitsprache bei den Kriegsmaterialexporten: Die Regelungen dürfen nicht per Verordnung vom Bundesrat beschlossen, sondern müssen auf Verfassungs- oder Gesetzesebene unter Mitwirkung von Bevölkerung und Parlament festgeschrieben werden.
  2. keine Kriegsmaterialexporte in Länder, die Menschenrechte systematisch und schwerwiegend verletzen.
  3. keine Kriegsmaterialexporte in Länder, die an einem internen oder internationalen bewaffneten Konflikt beteiligt sind.

«Einer grossen Mehrheit der Bevölkerung sind Frieden und Menschenrechte wichtig. Schweizer Waffenexporte in Bürgerkriegsländer lassen sich damit nicht vereinbaren. Dies muss auch der Bundesrat zu Kenntnis nehmen», sagt Helvetas-Präsidentin Therese Frösch, Co-Präsidentin der Allianz.

Gegenvorschlag mit Schlupflöchern

Um die Initiative und somit eine strikte Regelung in der Verfassung zu verhindern, beschloss der Bundesrat im Dezember 2019, der Initiative einen indirekten Gegenvorschlag gegenüberzustellen. Dazu gab er im März 2020 zwei Varianten in die Vernehmlassung. Während Variante 2 die Hauptforderungen der Initiative ohne Wenn und Aber aufnahm, gab es in Variante 1 zwei Einschränkungen: Erstens sollte der Bundesrat eine Bewilligung erteilen können, «wenn ein geringes Risiko besteht, dass das auszuführende Kriegsmaterial zur Begehung von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen eingesetzt wird». Zweitens sollte er von den Bewilligungskriterien für Auslandgeschäfte abweichen können, «wenn (a) ausserordentliche Umstände vorliegen, und (b) die Wahrung der aussen- oder der sicherheitspolitischen Interessen des Landes dies erfordert».

Ende Oktober 2020 lagen die Ergebnisse der Vernehmlassung vor. Dabei zeigte sich, dass eine grosse Mehrheit der Parteien, die Allianz sowie alle Entwicklungs- und Friedensorganisationen Variante 2 befürworteten. Variante 1 wurde nur von einer Mehrheit der Kantone und einzelnen weiteren Akteuren begrüsst. Dass die Wirtschaftsverbände und die Rüstungsindustrie alles ablehnten, erstaunte nicht.

Der Bundesrat musste also einsehen, dass er mit der Variante 1 keine Mehrheit finden würde. Daher unterbreitete er dem Parlament am 5. März 2021 – zusammen mit der Empfehlung, die Initiative abzulehnen –, einen indirekten Gegenvorschlag, der Lieferungen an Bürgerkriegsländer oder Staaten, welche die Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzen, ausschliesst. Aber der Bundesrat soll «bei ausserordentlichen Umständen innerhalb eines klar abgesteckten Rahmens von den gesetzlichen Bewilligungskriterien abweichen» dürfen. Mit dieser sogenannten Abweichungskompetenz könnte er letztlich eben auch Kriegsmaterial-Ausfuhren in Bürgerkriegsländer bewilligen. Zudem möchte der Bundesrat ungeachtet der Situation vor Ort weiterhin Ersatzteillieferungen zulassen, da deren Verbot «dem Ruf der Schweiz als verlässliche Wirtschaftspartnerin schaden (könnte). Insgesamt würden so die sicherheitsrelevanten Industrien im Land geschwächt», also die Schweizer Rüstungsindustrie.

Am Lockerungsverbot festhalten

Die Allianz zeigt sich in einer ersten Stellungnahme zum indirekten Gegenvorschlag zwar erfreut, dass das Kriegsmaterialgesetz im Sinne der Initiative geändert werden soll, lehnt aber die Abweichungskompetenzen für den Bundesrat vehement ab: «Der Bundesrat will sich damit bloss ein Schlupfloch offenhalten, um die Mitsprache durch das Parlament und die Bevölkerung zu umgehen.» Dies sei eine inakzeptable «minimalistische bis unwirksame Umsetzung» der Initiative. Die Abweichungsklausel müsse gestrichen werden. Dafür wäre die Allianz «als Kompromiss (…) bereit, auf eine Streichung der Ausnahmebestimmung für Ersatzteillieferungen zu verzichten. Munition darf dabei jedoch nicht wie heute als Ersatzteil gelten.»

Die Allianz hat immer betont, dass sie im Falle eines indirekten Gegenvorschlags, der ihre Hauptforderungen erfüllt, bereit ist, den Rückzug der Korrektur-Initiative ins Auge zu fassen. Das würde bedingen: keine Ausnahmeklausel zugunsten des Bundesrates und keine Ausnahmeregelungen für Munitionslieferungen. Doch die Zeichen stehen eher auf Abstimmung an der Urne: So unterstützte die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerats am 26. März mit deutlichem Mehr den indirekten Gegenvorschlag und lehnte jegliche Änderungen ab. Stimmt das Parlament dem Bundesratsvorschlag unverändert zu, wird für die Allianz eine rote Linie überschritten und sie würde an der Initiative festhalten. Dies gilt auch für Helvetas.