Hygiene promoter Rahela Akter from NGO Forum during session in the Rohingya refugee camp in Kutupalong. | © Helvetas/Patrick Rohr

Seit zwei Jahren sind die Rohingya-Flüchtlinge ohne Zukunftsaussichten

VON: Barbara Dietrich - 16. August 2019
© Helvetas/Patrick Rohr

Nahezu eine Million Rohingya leben heute im Flüchtlingslager Kutupalong in der Region von Cox’s Bazar in Bangladesch. Zwei Jahre nach ihrer Flucht aus Myanmar ist an eine Rückkehr nicht zu denken. Der Bedarf an humanitärer Hilfe ist immens. Gleichzeitig braucht es Zeichen der Hoffnung auf eine Verbesserung ihrer Situation. Gemeinsam mit den Betroffenen engagiert sich Helvetas für beides.

Vor zwei Jahren wurde die Welt mit schrecklichen Bildern aus Myanmar konfrontiert. Brennende Dörfer und flüchtende Frauen, Kinder und gebrechliche Männer, die Flüsse durch- und überquerten. In ihren Augen widerspiegelte sich der Schrecken, den sie durchleben mussten, die Trauer, die sie mit sich trugen. Trauer um ihre Liebsten, um ihre Heimat und Vergangenheit – und um ihre verlorene Unversehrtheit. Heute leben diese Menschen in Kutupalong, dem grössten Flüchtlingslager der Welt. Auf engstem Raum und unter schwierigsten Bedingungen versuchen sie, den Alltag einigermassen zu bewältigen. Die Rohingya werden dabei von Bangladesch sowie von humanitären Organisationen unterstützt. So baute Helvetas in der Anfangsphase Latrinen mit Biogasküchen und bemühte sich um die Entsorgung des Abfalls. Bis heute versuchen die in Cox’s Bazar tätigen Organisationen, Strukturen aufzubauen, die den Menschen etwas wie einen Alltag ermöglichen, und engagieren sich gemeinsam mit den Flüchtlingen für die Sicherheit der Familien, speziell der Frauen und Kinder.

Dabei geht einerseits um Sicherheit vor Ausbeutung, sexuellem Missbrauch und Menschenhandel, zum anderen um den Schutz vor Erdrutschen während der Monsunsaison oder um ausgewogene Ernährung. Derzeit unterstützt Helvetas die Rohingya dabei, Gemüse platzsparend anzubauen, auch auf den Dächern der Unterkünfte. Damit können die Nahrungsmittelversorgung verbessert und gleichzeitig die Abhängigkeit von humanitärer Hilfe verringert werden. Dies kommt auch armen einheimischen Familien zugute: Wie die Rohingya erhalten auch sie die Möglichkeit, Gemüse anzubauen und allfällig überschüssige Nahrungsmittel an Händler zu verkaufen. Denn die Einheimischen, welche die Rohingya vor zwei Jahren solidarisch aufgenommen haben, sehen sich mittlerweile damit konfrontiert, dass sich die Tagesansätze für einfache Arbeiter halbiert haben oder der Reispreis drastisch gesunken ist. Damit werden die Rohingya für Familien, die bereits früher in Armut lebten, zur Konkurrenz. Um Konflikten vorzubeugen, lässt die internationale Gemeinschaft daher auch der lokalen Bevölkerung Hilfe zukommen. Dies ist umso wichtiger, als dass die Menschen in Cox’s Bazar noch lange auf internationale Hilfe angewiesen sein werden.

Schwindende Hilfsgelder und zunehmende Bedrohungen

Doch diese Hilfe droht zu versiegen. Das Schicksal der Rohingya ist kaum noch auf dem Radar der Mächtigen. Journalistinnen und Journalisten wenden sich anderen Themen zu. Die humanitäre Krise verblasst in der Wahrnehmung der Bevölkerung im Norden. Anfang Jahr errechnete die UNO einen Bedarf von 900 Millionen Franken für das Jahr 2019, um die 1,2 Millionen Menschen in der Region (Rohingya und lokale Bevölkerung) zu versorgen. Doch Mitte Jahr war erst ein Drittel des Bedarfs gesichert. Konkret bedeutet das für die Organisationen, die gemeinsam mit den Rohingya das Leben im Flüchtlingslager erträglich zu machen versuchen, dass es an Planungssicherheit fehlt und die Weiterführung der Projekte direkt gefährdet ist. Und für die Betroffenen heisst es, dass ihnen Hoffnung und Perspektiven genommen werden.

Weitere Bedrohungen sind zum einen die ungewöhnlich starken Regenfälle, welche die Infrastruktur wie Behausungen, Wege und Sickergruben zerstören. Darüber hinaus wird die Not der Flüchtlinge durch kriminelle Banden instrumentalisiert. Und über allem herrscht die Furcht vor einer Umsiedlung auf die überschwemmungsgefährdete Insel Bhasan Char, die Bangladesch derzeit mit Deichen sichert und mit

Unterkünften für 100'000 Rohingya ausstattet, oder auch vor einer möglichen Rückführung nach Myanmar. Allen Monsunstürmen und Erdrutschen zum Trotz wollen die Rohingya aber erst zurückkehren, wenn ihre Sicherheit zuhause garantiert ist und sie als gleichwertige Bürgerinnen und Bürger Myanmars anerkannt werden. Angesichts der aktuellen Lage in Myanmar kann dies bedeuten, dass aus dem temporär geplanten Camp in Cox’s Bazar ein dauerhaftes Lager wird.

Anhaltende Menschenrechtsverletzungen

Noch heute kommt es nach Angaben von Amnesty International im Rakhine-Staat an der Nordwestküste Myanmars, wo die Rohingya herkommen, zu Vertreibungen, Menschenrechtsverletzungen, aussergerichtlichen Hinrichtungen, willkürlichen Festnahmen, Folter und anderen Misshandlungen. Nach den Recherchen von Amnesty wurden seit Januar 2019 weit über 30’000 Menschen vertrieben. Zivilisten würden gezielt angegriffen und getötet. Zugleich blockierten die Behörden den Zugang humanitärer Organisationen zu den betroffenen Gebieten und setzten das Internet aus. Auslöser für die neue Offensive waren Anschläge der für die Selbstbestimmung von Rakhine kämpfenden «Arakan Army» auf Polizeiposten. Amnesty wirft dieser buddhistischen Miliz ebenfalls Menschenrechtsverletzungen vor.

Die Vorgänge erinnern an den August 2017, als das Militär in Myanmar als Folge von Überfällen auf Armee- und Polizeiposten durch die «Arakan Rohingya Salvation Army» gewaltsam gegen die muslimischen Rohingya vorging. Die UNO, internationale und humanitäre Organisationen taxieren das damalige Vorgehen der Armee heute als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, was der UNO-Sonderberater für die Verhütung von Völkermord 2018 bestätigte: «Muslimische Rohingya wurden getötet, gefoltert, vergewaltigt, bei lebendigem Leib verbrannt und gedemütigt, nur weil sie sind, wer sie sind.» Die UNO-Sonderberichterstatterin für Menschenrechte in Myanmar forderte im Juli einmal mehr, dass die Verbrechen in Myanmar vom Internationalen Strafgerichtshof aufgearbeitet werden, oder dass alternativ die internationale Gemeinschaft ein unabhängiges Tribunal einrichtet. Der internationale Druck auf Myanmar für ein Ende der Menschenrechtsverletzungen müsse aufrechterhalten werden. Es liege in der alleinigen Verantwortung Myanmars, die notwendigen Bedingungen für eine Rückkehr der Menschen zu schaffen, die der Staat gewaltsam vertrieben hat.

Daraus ergeben sich zwei Forderungen: Zum einen müssen die internationalen Geldgeber ihr humanitäres Engagement für die Rohingya aufrechterhalten und ihren finanziellen Zusagen nachkommen, um eine humanitäre Katastrophe im grössten Flüchtlingslager der Welt zu verhindern. Andererseits muss die internationale Gemeinschaft Myanmar bei der Suche nach menschenwürdigen politischen Lösungen unterstützen und dabei wenn nötig politischen und wirtschaftlichen Druck ausüben. Erst wenn die Rohingya auf freiwilliger Basis und in Sicherheit und Würde in ihr Land zurückkehren können, werden sie das auch tun.